21.5.16

Rennsteiglauf 2016, 9:19:35

Foto Team Müller

Irgendwann, ich glaube es war in der sechsten Klasse in Berlin Prenzlauer Berg, da habe ich davon in der Zeitung gelesen. "Die Verrückten aus dem Thüringer Wald" war der Artikel überschrieben. Die damals 75km zählende Strecke schien mir genau so unüberwindlich wie der Weg zum Mond.


Aber die Geschichte von den Unbezwingbaren aus dem Thüringer Wald hat mich fortan nicht losgelassen.  Das man das schaffen kann schien mir geradezu unglaublich. Helden waren sie für mich, die Männer vom Rennsteig. Hans-Georg Kremer, Hans-Joachim Römhild, Jens Wötzel und Wolf-Dieter Wolfram waren die Pioniere. Und ich malte mir aus, dass ich der fünfte in ihrem Bunde gewesen und ihnen mit einer Taschenlampe nachgeschlichen wäre.

Zunächst galt es aber den "Dauerlauf" in der Schule zu überstehen. Die "Leistungskontrolle" auf dem Sportplatz. Wenn ich mit 3000 Metern schon zu tun hatte, würde alles was darüber hinaus ginge ein Traum bleiben. Ein 72,7km langer Traum.


Doch dann, als nach der Schule das Leben begann und das Theater mich infizierte, als die Bühne Schritt für Schritt mein zu Hause wurde, kam mit dem Schauspieler auch der Sportler in mein Leben. Erst als Ausgleich, dann als Teil von mir.


Ende letzten Jahres dachte ich, das mit dem Rennsteig wäre nun vielleicht möglich. Ich bin inzwischen einige Halbmarathon gelaufen, einige Marathons auch, in unterschiedlichen Städten, mit ganz unterschiedlichem Höhenprofilen, warum sollte nicht nicht jetzt den lang erträumten Ultra Marathon Wirklichkeit werden lassen. 72,7 km müssten doch zu schaffen sein. Gesagt, getan begann ich Anfang des Jahres mein Training zu spezialisieren.


Zusammen mit Thomas Sperling, dem Freund und zweifachen Gewinner des Rennsteiglaufes  (1991 und 1992) erarbeitete ich ein Trainingsplan. "Mit Würde ankommen" stand als Überschrift darüber. Ja, das war der richtige Slougan. Zugrunde lag ein Trainingsplan von "Feel fit" der uns inspirierte, wir verfeinerten ihn und nahmen Rücksicht auf die eine oder andere Premiere von mir, auf das eine, oder andere Gastspiel.




Jetzt war es so weit, ich saß im Bus mit vielen anderen Läufern auf dem Weg nach Eisenach. Übernachtung und Transfer organisierte der Dresdner Laufsportladen bei dem ich die Reise im Vorfeld gebucht hatte und deren Optimismus, Kompetenz und freundschaftlicher Umgang mir schon lange Rückenwind für dieses Vorhaben gab.

Der Rennsteiglauf, oder genauer gesagt der "GutsMuths Rennsteiglauf"  fand das erste mal 1973 statt, damals noch privat von vier Teilnehmern durchgeführt, waren es das Jahr darauf schon zwölf. 2016 waren es 16412 Läufer, die jetzt natürlich auch in ganz unterschiedlichen Längen an den Start gingen. 


Allein über 2000 Laufbegeisterte kamen für den "Langen Kanten", Der mit 72,7km ausgeschriebene Ultralauf zählt zu den beliebtesten Landschafts Crossläufen in Deutschland. Der Start ist in Eisenach auf dem Marktplatz, dann geht es stetig bergauf zum "Großen Inselberg". Danach geht es relativ eben weiter über Heuberghaus, Ebertswiese und Neue Ausspanne, bevor einen bei der Marathonmarke ein weiterer Anstieg zu den Neuhöfer Wiesen erwartet. 



Sekunden nach dem Start, durch die Gassen in Eisenach
Foto: Rennsteiglauf

Am Grenzadler, in unmittelbarer Nähe der Arena Oberhof, hat man 54,7 km hinter sich. Hier ist ein offizieller Ausstieg mit Zeitnahme möglich, auch werden alle Läufer aus dem Rennen genommen, die bis hierher mehr als neun Stunden gebraucht haben. Durch welliges Terrain geht es weiter zum Rondell am Rennsteingarten Oberhof. Bald darauf wird bei km 61,1 an Plänckners Aussicht unterhalb des Großen Beerbergs auf 973 m Höhe der höchste Punkt der Strecke erreicht. Ab Schmücke geht es dann die letzten neun Kilometer überwiegend sanft bergab nach Schmiedefeld, wo man nach 70 km Wegstrecke zum ersten Mal wieder in besiedeltes Gebiet gelangt. Das Ziel liegt am Sportplatz oberhalb des Ortes auf 711 m Höhe. Insgesamt sind 1490 Höhenmeter bergauf und 989 Höhenmeter bergab zu bewältigen. (Diese Wegbeschreibung habe ich Wikipedia entnommen, denn so genau weiß ich das alles natürlich auch nicht.)



In der Mitte Beate Bonnaire,
mit, wie wir später wissen, sensationellen
7h;20min erster ihrer Altersklasse,
rechts Martin Ehrhardt (7:15, der Hammer!!!). 
Foto privat

Am Nachmittag holen wir die Startunterlagen ab und treffen uns zum traditionellen Klöße essen auf dem Markt. Es herrscht eine aufgeweckte Stimmung, man trifft "alte" Lauffreunde wieder. Gespräche beim Bier verkürzen das Warten auf morgen. 


Bekannt ist Eisenach ja vor allem durch die Wartburg oberhalb der Stadt, die zum UNESCO-Weltkulturerbe  gehört und im Mittelalter Sitz der Landgrafen von Thüringen  war. Dort übersetzte Martin Luther das NeueTestament vom Griechischen ins Deutsche.


Foto: privat


Die Band im Festzelt spielt: "Wish you were here." Der Sänger ist gut. Dann lehrt sich der Markt. Die Tauben übernehmen das Pflaster. Rennsteigläufer gehen zeitig in die Betten. Lieber Gott sei morgen bei mir.


Eisenach, Am Markt
Foto privat


Der Wecker klingelt. Ich weiß gar nicht so recht, ob ich geschlafen habe, ist auch Wurscht, jetzt ist es endlich so weit. Die ersten 25 km gilt es Nerven zu bewahren. "Nicht zu schnell angehen. Du läufst DEINEN Lauf" Diese beiden Sätze habe ich mir ins Gehirn tätowiert. Selbst wenn mich alle Kräfte verlassen daran werde ich denken. Das Wetter spielt mit. Vielleicht ist es etwas zu warmt.


Marc Schulze, der spätere Sieger mit 5h:17min
Foto: Rennsteiglauf



Foto: Rennsteiglauf


Legendär ist der traditionelle Haferschleim.
"Alles drin, was du brauchst."

Foto: Rennsteiglauf

Als ich die 45 Kilometerpassage durchlaufe wird mir klar, so weit bin ich zu Fuß noch nie gewesen. Gleichzeitig wird mir aber auch bewußt wieviel ich noch vor mir habe. Jetzt bräuchte ich wenigstens einen der beiden Zuckergels, die ich unglücklicherweise im Hotel liegen ließ. 


Aber ein Engel erscheint immer dann, wenn du ihn brauchst, du mußt nur Geduld haben. Mit Stefan Fest aus Magdeburg findet sich ein Kumpel der mir bei Kilometer 47 ein Gel schenkt. (Danke dir noch ma Stefan! Falls du das lesen solltest fühle dich umarmt.) Ich gebe ihm eine Salztablette, die ich gerne im Tausch entbehre und so kommen wir mit "Zucker gegen Salz" gut ins Geschäft.



Stefan aus Magdeburg 
Foto Privat



Kurz vor Schmücke begegnen wir der Lauflegende Roland Winkler. 
Er ist 1976 den Rennsteig, da war er noch 75 km lang, in sagenhaften 5:04 gelaufen. Und das wahrscheinlich in  tschechischen Turnschuhen, ohne jede Dämpfung und  Baumwollsportbekleidung aus der DDR. 42 Rennsteigläufe in Folge ist er gelaufen. Wir halten kurz an und umarmen uns. "Du bist der Grund, warum ich das heute mache", sage ich. "Quatsch, du bist dein eigner Grund berlinert er zurück."


Foto Team Müller

Irgendwann wird mir klar, dass ich diesen Lauf schaffen werde. Die neun Stunden Marke ist erreicht. Schneller gehts nicht. Ich beiße die Zähne zusammen. "Ankommen mit Würde" - so heißt mein Trainingsplan, so hatte ich es mir fest vorgenommen. 


Ab Kilometer 60 ist Kämpfen angesagt. Die Kraft läßt nach. Ich kann schwer denken. Dann bleibe ich stehen und beuge mich vorn über. Die Hüfte verkrampft. Ich dehne mich, dann geht es weiter. Im Feld redet jetzt keiner mehr. Nur noch ankommen. Bei Gott, wann kommt denn dieses verdammte Schild, mit der siebzig. Die können das doch nicht vergessen haben. Vielleicht bin ich falsch abgebogen, aber nein, die anderen Läufer können sich doch nicht alle gleichzeitig mit mir irren. Ankommen, nur noch ankommen. 



Foto Team Müller

So muß es Seefahrern auf Hoher See, nach wochenlangen Irrfahrten gegangen sein. Da waren doch Stimmen? Da höre ich doch den Stadionsprecher. Nein, es war nur die Nachtigall und nicht die Lerche. Dann "AC/DC"!  Von Johannes, einem Lauffreund, wußte ich, das ist ein zielnahes Zeichen. Wenn der Mann mit dem AC/DC Hammer erscheint und seine Bose Box dich aus seinem Vorgarten anbrüllt, dann hast du es gleich geschafft, dann ist es nicht mehr weit. 




Foto Team Müller

Martin, Johannes, Beate und Michael sind schon da. Das ist der Vorteil, wenn man langsamer ist, es gibt Applaus und den liebe ich. Der Stadionsprecher spricht meinen Namen falsch, dass bin ich gewohnt, das macht mir gar nichts. Nur noch 20 Meter, dann ist es geschafft. 
Mit 9h19min 35sek erreiche ich das Ziel. 


Vorn übergebeugt stehe ich am Absperrgitter und hole Luft. Ziel erreicht. Schmiedefeld, wie schön das klingt. 



Foto: mdr

Die Freunde sind schon geduscht und helfen mir. 
Wir liegen uns in den Armen. Das gehen fällt schwer. Dann Duschen, dann Läuferbier und der Bus nach Hause. Ich halte die begehrte Medaille in den Händen. Schnell noch eine Bratwurst. Der Hunger stellt sich ein. 


Wir haben während der 72,7 Kilometer  an die 5000 kcal verbrannt, mit 1735 Höhenmetern gab es Streckenabschnitte, die man gehen sollte, es gab Wurzelwerk und Schotter, steile Abhänge, aber auch Wald- und Wiesenwege saftig und frühlingsgrün. 


Am Rennsteig läuft man nicht gegeneinander, sondern miteinander. In den mittleren Reien zumindest. Am Rennsteig bleibt man während des Laufes stehen und fotografiert die Wartburg. Am Rennsteig hilft man sich mit Zucker gegen Salz. 


Im Bus sitzen wir später mit Marc Schulze, dem Tagessieger zusammen. Beate Bonnaire ist erste ihrer Altersklasse geworden. Alles redet durcheinander. Es herrscht Ferienlager Stimmung. Nein,wir wollen nie mehr auseinandergehen. 


Bernd Melzer, Chef und Vater vom Laufsportladen, sitzt vorne im Bus. Irgendwann nimmt er das Micro in die Hand und spricht. "Ihr seid alle Sieger! Wer heute ins Ziel kam ist ein Sieger, jeder für sich." 


Foto Team Müller

Das Organisationsteam, die vielen unzähligen Helfer an der Strecke, haben hervorragende Arbeit geleistet. Danke euch allen. Mir fehlte oft die Puste es euch während des Laufes an den Verpflegungsstellen zu sagen. Also nochmal auf diesem Weg. Seid wirklich bedankt. Wir sehen uns wieder, unbedingt. Nächstes Jahr zur selben Zeit. 
Einmal Rennsteig, immer Rennsteig. 



Foto Team Müller


             


Platz:1178
Platz AK 273
Zeit: 09:19:35


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